portrait #08 Electric Indigo

Ein Portrait von Michaela Schwentner (2016)

IMAfiction #08 16 Electric Indigo from IMA on Vimeo.

Interview: Michaela Schwentner | Camera: Michaela Schwentner, Andreas Gockel | Filmed in: Berlin, Leipzig, Vienna and in trains from Berlin to Leipzig and back, 2015 | Film editing: Michaela Schwentner | Music: Electric Indigo | Sound editing: Robert Eder | Subtitles translation: Kimi Lum | Graphic design: Andreas Rathmanner, FOX | DVD authoring: CSM Production | Film & photo credits: Michael Breyer, Louise Linsenbolz and Thomas Wagensommerer (TE-R) | Special thanks to: Michelle O’Brien and Ed Williams (Ableton Loop Summit, Berlin), Lena Schwarzwälder (Institut für Zukunft, Leipzig), Annelie Fritze (Wien Modern) and Johanna Möslinger (Wiener Konzerthaus) | Film format: 16:9 | Duration: 22:00 | Language: German | Subtitles: English

Christine Kakaire

Ihre langjährige gleichzeitige Präsenz in DJ Clubszenen, konzeptuell experimentellen Kontexten, Dancefloor – fokussierten Produktionen und Multimediainstallations-performances, bestätigten immer wieder, dass Susanne Kirchmayr für eine intelligente und herausragende Interpretation elektronischer Musik steht. Indem sie die gängige Praxis, das kreative Selbst in Projektnamen und Alias-Identitäten aufzuspalten, ablehnt, bilden alle Facetten von Kirchmayr´s kreativem Schaffen eine künstlerische Einheit: Electric Indigo.

Electric Indigos Vielseitigkeit haben sie in Nischenszenen und -gruppierungen Wiens und Berlins, zu traditionellen Praktiken der Bühne, des Films, der Oper und zu paradigmenbrechenden Performances geführt, die mit zukunftsweisenden Kompositionstechniken, als anspruchsvolle Klangkunst gestaltet, realisiert wurden. Trotz all dieser verschiedenen Ausdrucksformen, Interessen und Entwicklungen, dachte Kirchmayr nie daran ihr Selbst dabei aufspalten zu müssen. „Ich habe keine Hauptbeschäftigung“ erklärt sie in einem Interview, „alles was ich mache verteilt sich gleichmäßig auf Performances, die Arbeit an experimentellen Kompositionen, Djing und Club Musik.“

Kirchmayr bedient sich in ihrer Arbeit gerne der Intertextualität, viele ihrer Klangkunstkompositionen und live Auftritte basieren auf bedeutenden Reden oder Dialogaufnahmen. Auch ihr neuestes konzeptionelles Kompositionsprojekt – Barry Duffman – entwickelt dieses Thema weiter. Uraufgeführt bei Wien Modern 2015, als Beitrag zu „N°1: Eine Phänomenologie des Pop“ sind die Ausgangsmaterialienin in Barry Duffman aalglatte #1 Pop Chart Hits, von Taylor Swift über Justin Bieber, Adele u. a..

In ihren Performances entwickelte Kirchmayr eine Methode der Dekonstruktion und Reassemblage unterschiedlicher Ausgangsmaterialien. Durch ihr bewusstes Arbeiten mit dem Raum schafft sie raffinierte akustische, musikalische, linguistische und graphische Details, und erforscht raum-zeitliche Manipulationen im Sounddesign.
Ihre Kompositionen für den Österreich Pavillon der Expo 2010, und das Theaterstück „Das kleine Zimmer am Ende der Treppe“ mit Pia Palme, im Kosmos Theater 2011, sind eine Folge ihres Beitrags zu Florian Schmeiser´s Klanginstallation „Vibrate Space“ beim Coded Cultures Festival 2011. Weiters entwickelte Kirchmay die Vierkanalkomposition „Structuring Contours“ für das Klangspuren Festival 2011, sowie „Die Fernrohre der Träumer“ eine Zusammenarbeit mit der Autorin Valerie Fritsch uraufgeführt im Mai 2012 beim hoergeREDE Graz. Ein anderes signifikantes Werk ist Kirchmayr´s Granularsyntheseprojekt MORPHEME, das als Stereoversion beim Heroines of Sound Festival 2014 und als audiovisuelles Mehrkanalkonzert gemeinsam mit Thomal Wagensommerer beim CTM Festival 2015 aufgeführt wurde. Das Grundmaterial für MORPHEME ist eine neun Sekunden Aufnahme eines Satzes von Sadie Plant: “To let noise into the system is a kind of fine art in both cybernetic terms and in terms of making music, too.”

Kirchmayr ist in ständiger Vorwärtsbewegung, sowohl in ihrem Kompositionsprozess, als auch in ihrer Entwicklung als Künstlerin. „Ich bin total anti-zyklisch“ sagt sie, „ich gehe nur von Hardware zur Software, besonders seit ich angefangen habe Aufnahmen der Umgebung und Sprachaufnahmen zu bearbeiten. Ich verwende nur den Computer und ein paar Midi Regler, das ist es so ziemlich.“

Kirchmayr bekennt sich klar zur Klangästhetik von Bass und Drum; Ausgangspunkt all ihrer musikalischen Projekte. „Obwohl ich mittlerweile auch arhythmische Musik mache“ sagt sie, „die Liebe zum Klang ist von Anfang an die gleiche geblieben. Die Beschäftigung damit, wie man einen bestimmten Klang erzeugen kann, welche andere Klänge man in das Spektrum, den Raum und die Zeitleiste platzieren kann, ist typisch für die Arbeitsweise eines Techno Head, auch wenn dabei eine Art elektroakustioscher Avantgarde Musik dabei rauskommt.“ Auch wenn man von keiner eigenen Klangsignatur sprechen kann, zeichnen sich Kirchmayr´s Produktionen durchwegs durch die raum-zeitlich subtil strukturierten Stimmungen und Strukturen aus. Kirchmayrs Arbeiten 2015 – Barry Duffman, die konzeptionelle Installationsperformance 109.47 degrees, deren Titel sich auf Plateaus Gesetz, welches die Struktur von Seifenblasen und deren perfekten tetraedrischen Winkel beschreibt, bezieht, und 5/0, ein Soloalbum mit komplexem Deep Techno für das Berliner Label Suicide Circus Records – zeigen die rastlose Qualität, die hinter all ihren Projekten steckt. Kirchmayr nähert sich dem Siedepunkt an dem sich Rhythmus und Komposition mit Kunst und progressiver Performancepraxis kreuzen.

Kirchmayr ist ein Urgestein der Wiener Elektronischen Musikszene, seit ihren frühen Tagen als Radio-DJ in den 80ern durchquerte sie Hip Hop und Funk, verschiedenste Schattierungen des Techno, experimentelle Elektronik und Klangkunst.Nachdem sie in Wien bereits bekannt war, ging sie 1991 Berlin, wo ein Besuch im Hardwax Record Store großen Einfluss auf sie haben sollte. Als sie 1993 nach Berlin zurückkam, begann sie dort zu arbeiten wodurch sie die folgenden drei Jahre direkt in die aufkeimende Berliner Technoszene involviert war. Diese Zeit markiert auch den Beginn ihrer Karriere; 1993 erschienen ihre ersten Releases mit schneidendem, acid-gefärbtem Techno auf dem Label Experimental und Disko B.. 1993 gründete Kirchmayr ihr eigenes Label, indigo:inc recordings, was sie aber nicht davon abhielt weiterhin als DJ in über 35 Ländern weltweit aufzutreten. Ihre DJ-Sets waren von einer großen Vielfältigkeit und klaren Vision, sowie einer Tiefe charakterisiert, die nur aus einem ebenso tiefen Verständnis von Clubmusik und der Kunst des Djing gewonnen werden kann. Kirchmayer pendelt weiterhin zwischen Wien und Berlin.

Kirchmayr ist seit langem ein Fixstern bei Workshops, Diskussionen und Panels, die sich mit Kompositions- und Performancepraxis im Kontext sozialer Fragestellungen beschäftigen, wie der Genderfrage und Ungleichstellungen. Als frühe Verfechterin dieser notwendigen Auseinandersetzungen entwickelte Kirchmayer 1998 das digitale Netzwerk und Plattform female:pressure. Mit dem ausdrücklichen Ziel weibliche Produzentinnen in der massiv ungleichen Musiklandschaft zu unterstützen, ist die Plattform female:pressure leider immer noch notwendig. Sie entwickelte sich aber zu einer der wichtigsten Resource im diesem Bereich; sie umfasst eine weltweite Datenbank und ein Netzwerk für Künstlerinnen in der Musik, und ging weit über die ursprünglichen Erwartungen mit 1.700 Mitgliedern aus über 65 Ländern hinaus. Female:pressure erhielt eine Honorary Mention beim Prix Ars Electronica 2009 und setzt sich weiterhin für Gleichheit, Sichtbarkeit Zugänge und Möglichkeiten für Frauen in der Musik ein.

Was ihre vielversprechende Zukunft angeht, meint Kirchmayr nur, dass sie sichweiterhin um die Vereinbarkeit ihrer verschiedenen Selbst bemüht. „Ich komme langsam an den Punkt, an denen meine zwei hauptsächlichen musikalischen Interessen – Techno einerseits und Musik, die man als Elektro-akustisch/Avant-garde bezeichnen kann – zusammenkommen und in einer einzigen Komposition verschmelzen.“

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