Zum fünften Geburtstag von Sandra Naumann

Dem „Institut für Medienarchäologie“ zum fünften Geburtstag

Ein Wortbeitrag zu „IMA.05, ein Fest“ am 3.Juli 2010 in Hainburg

Mein Be/Ruf als Medienwissenschaftlerin legt es nahe, das Wesen des „Instituts für Medienarchäologie“ mit ihr eigenen Methoden zu ergründen. So habe ich mir vorgestellt, ich würde aus der Zukunft kommen, bei Ausgrabungen ein Programm des heutigen Abends finden, dort von dem „Institut für Medienarchäologie“ lesen und versuchen herauszufinden, was das eigentlich sei. Da es dann vermutlich kein Internet, wie wir es kennen, mehr geben wird, heutige Datenformate nicht mehr entschlüsselbar und so etwas wie VHS-Kassetten oder DVDs sowieso rätselhafte Relikte sein werden (davon abgesehen, dass sie, im Unterschied zu altertümlichen Tonscheiben, ohnehin nicht mehr lesbar wären), habe ich mich ins Reich der ersten und womöglich langlebigsten Produkte technischer Reproduktionsmedien begeben, um dort Hinweise darauf zu finden, was ein Institut für Medienarchäologie sein könnte.

Das Meyers Konversations-Lexikon in der fünften Auflage von 1893-1897 führt unter dem Stichwort „Institut“ folgendes an: „(lat., institutium, „Einrichtung“, Anstalt), ein Wort, das im modernen Leben die weiteste Anwendung findet und jede reicher gegliederte, einem höhern Zweck dienende Unternehmung bezeichnen kann. Am häufigsten spricht man von Instituten im gewerblichen, wissenschaftlichen und pädagogischen Leben.“[1] Der Eintrag widmet sich dann ausführlich pädagogischen Instituten als Privatunterrichtsanstalten und weist darauf hin, dass „vor allem in katholischen Ländern die klösterlichen Institute zur Mädchenerziehung in hohem Ansehen [stehen]“.[2]

Das in der DDR erschienene und vom VEB (Volkseigener Betrieb) Bibliographisches Institut Leipzig herausgegebene Meyers Neues Lexikon, erläutert in seiner zweiten, völlig neu erarbeiteten Auflage in 18 Bänden von 1971-77 den Begriff „Institut“ als „Einrichtung zur Lehre und Erziehung, Forschung und wissenschaftlichen Entwicklungstätigkeit auf politischem, wirtschaftlichem, technischem und kulturellem Gebiet.“[3]

Zum Begriff „Medien“ findet sich in Meyers Konversations-Lexikon vom Ende des 19.Jahrhunderts folgender Eintrag: „Medien (Media), im Altertum Name einer Landschaft Vorderasiens, zwischen dem Kaspischen Meer, Armenien, Assyrien, Susiana, Persis, Parthien und Hyrkanien gelegen und den Nordwesten des heutigen Persien umfassend.“[4] Zugleich ist es als Plural von „Medium“ ausgewiesen, das für Latein „Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes“ steht, „in der griechischen Sprache ein eigenes Genus des Verbums“ darstellt und „in der spiritistischen Weltanschauung jemand, der den Verkehr mit der Geisterwelt vermittelt.“[5]

Dass im Jahr der ersten kinematographischen Aufführungen keine „Medien“ im heute dominierenden Verständnis als technische Medien in das Lexikon aufgenommen wurden, ist wenig verwunderlich, aber auch in der DDR scheinen solche nicht existent oder erwähnenswert gewesen zu sein. Dafür kennt das bereits erwähnte Meyers Neue Lexikon aus dem untergegangenen Land verschiedene Bedeutungen von „Medium“, nämlich: „(1) Grammatik: zwischen Aktiv und Passiv stehende „mittlere“ Handlungsrichtung des Verbs, steht in seiner Bedeutung dem Reflexivum nahe (….); (2) Parapsychologie: Unkritische leitbare Mittelsperson bei okkultistischen, insbesondere spiritistischen Sitzungen, die eine scheinbare Verbindung mit „Übernatürlichem“ herstellt; (3) Physik: Stoff, in dem sich ein physikalischer Vorgang abspielt, z.B. die Lichtausbreitung; dabei spricht man auch beim Stoff, der vom Licht durchlaufen wird vom optischen Medium (…) Technisch wichtige optische Medien sind Glas, Kristalle und Kunststoffe mit geringer Lichtabsorbtion; (4) Technik: in Rohrleitungen zu transportierender Stoff (Gas, Dampf, Flüssigkeit; rieselfähige Stoffe, wie Zement, Getreide; Dickstoffe z.B. Mörtel usw.).“[6]

Zu „Archäologie“ heißt es in Meyers Konversations-Lexikon: „im allgemeinen soviel wie Altertumskunde; im engern Sinne nach modernem Sprachgebrauch die Wissenschaft, welche sich mit der bildenden Kunst und dem Kunstgewerbe des klassischen Altertums beschäftigt. Das Wort Archäologie wurde schon von den Griechen häufig gebraucht, vorzugsweise aber die Erforschung und Darstellung von vergangenen, für die Gegenwart nicht mehr wirksamen Dingen, namentlich der ältesten Geschichte, Staatsform und Sitte, angewandt.“ Nach weiteren Ausführungen zu den Verfahren der Archäologie weist der Autor schließlich darauf hin, dass man sich „mit lebhaftem Enthusiasmus (…) in die Welt antiker Schönheit [versenkte], welche in ungezählten Mengen von Kunstwerken dem Boden entstieg.“[7]

Meyers Neues Lexikon definiert „Archäologie“ als „Altertumskunde: Erforschung des Altertums auf Grundlage von Denkmälern der materiellen Kultur und der bildenden Kunst“ und fügt hinzu, dass „[d]er moderne Begriff Archäologie […] in der UdSSR, den angelsächsischen und romanischen Ländern den gesamten Bereich der diesbezüglichen altertumswissenschaftlichen Studien [bezeichnet], während er in den deutschsprachigen Gebieten die Prähistorie oder Ur- und Frühgeschichte ausklammert.[8]“

Diese recht disparaten Begriffsbestimmungen lassen eine Vielzahl möglicher Interpretationen zu, was ein „Institut für Medienarchäologie“ sein könnte:

Eine Art Warenhaus, in dem Baustoffe für die Konstruktion von Rohrleitungen erhältlich sind, mit denen zerstörte Denkmäler rekonstruiert werden können?

Eine Forschungseinrichtung, die sich mit der Entwicklung einer neuen Universalsprache beschäftigt, die zwischen verschiedenen Völkern vermittelt und auch von zukünftigen Generationen verstanden wird?

Eine im Nahen Osten ansässige politische Organisation, die versucht die besten Strategien für die Vermittlung von islamischen Wertvorstellungen in Kristallen zu lesen?

Eine katholische Anstalt für unkritische Mädchen mit guten Leitungsqualitäten, die als Medien für okkultistische Rituale missbraucht werden?

Oder aber eine Institut, das auf das „Rumoren der Archive“ lauscht, Künstlerinnen, die sich mit den technischen Medien ihrer Zeit auseinandergesetzt haben vor dem Verschwinden im „Mülleimer der Geschichte“ bewahrt und zu einer Umwertung und Neuschreibung der Mediengeschichte beiträgt?

In diesem Sinne herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

[1] Meyers Konversations-Lexikon. Eine Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 5. gänzlich neubearbeitete Auflage, Bd. 9, Bibliographisches Institut: Leipzig und Wien: 1895, S.284.

[2] Ebd.

[3] Meyers Neues Lexikon, 2. völlig neu erarbeitete Auflage in 18 Bänden, Bd. 6, VEB Bibliographisches Institut: Leipzig, 1973 S.582.

[4] Meyers Konversationslexikon, Bd.12, 1896, S.45.

[5] Meyers Konversations-Lexikon Bd.12, 1896, S.45.

[6] Meyers Neues Lexikon, Bd. 9. 1974, S. 256.

[7] Meyers Konversations-Lexikon, 1893, Bd. 1, S. 812.

[8] Meyers Neues Lexikon, Bd. 1, 1972, S. 459.