SPIT RADIO – Or the Road to Spitiskan | Margarita Jimeno (CO/US)

Dauer: 10:02

© Margarita Jimeno

© Margarita Jimeno

Mit ihrem Radiostück zieht Margarita Jimeno die HörerInnen in den Bann der chinesischen Spuckkultur. Dieses vielfach als ungustiös geltende Phänomen wird dank der wunderbaren akustischen Erzählweise, die ein schier unfassbares Spektrum selten gehörter Klänge umfasst, in ein völlig neues Licht getaucht?

„Ich spazierte die Strasse hinunter und als ich um die Ecke bog, roch der Gehsteig plötzlich anders und die Geräusche schienen mich schneller zu erreichen. Ich war in China Town, New York nichts ahnend von der berühmten Spuck-Dynastie. Die klangliche Kakophonie bestand aus Vokalen, die auf ein intoniertes „aaaaaaaaa“ endeten, die lange nachdem die angesprochene Person bereits mit einer Antwort begonnen hatte, nachhallten. Plötzlich tauchte ein einzigartiges Spuckgeräusch auf; es war nicht ein gewöhnlicher Strassenspuckton und ich folgte wie verzaubert seinem Echo. Der in Vergessenheit geratene Geist der Spuck-Dynastie lag in der Luft; er wird oft als gutturaler Ton beschrieben, der mit einem bombastischen Spucken endet wie ein Drachenschwanz und noch lange, nachdem der Geist wieder verschwunden ist, nachhallt. Es wird angenommen, dass dieser den Weg nach Spitiskan anzeigt. Als ich also diesem Spuckecho folgte, wurde ich durch Geräusche wie „one dolaaa“ und „ten dolaaa“, die permanent zu hören waren, abgelenkt. Die Passanten bewegten rhythmisch ihre Köpfe in alle Richtungen, als ihre Augen all die zahllosen Dinge, die zum Verkauf angeboten wurden, erblickten. Ein dunkles Etwas in einer Bäckerei zog meine Aufmerksamkeit auf sich und ich beschloss, hinein zu gehen und mich danach zu erkundigen. Es sah wie ein altes Ei aus und tatsächlich las ich auf dem Schild, dass es ein tausend Jahre altes Ei sei, später erfuhr ich, dass es in frischem Pferdedünger gekocht wird. Ich zog einen „dolaaa“ aus der Tasche und spazierte mit meinem tausendjährigen Ei wieder raus. Der dunkelgraue Gehsteig wies ein paar glänzende, nasse Stellen auf; ich beschloss, diesen zu folgen. Bald war ich mitten in einer Menge chinesischer Männer, die spielten, rauchten und schrien. An einer anderen Ecke gingen einige Männer mit ihren Vögeln spazieren und lachten. Ein gewaltiges „guttur“ als Spuckgeräusch war zu hören und ich drehte in diese Richtung. Ich erreichte die Stelle, wo die Handleser ihre Stände aufgebaut haben.

Ein kleiner Mann mit silbern schillernden Zähnen bot an, mir meine Zukunft für zehn „dolaaa“ vorherzusagen. Ich setzte mich hin und zückte den Geldschein, doch die Versammlung der Geister der Spuck-Dynastie fand genau dann und dort statt und ich konnte nur der Geräuschkulisse der Spuck-Dynastie zuhören und verpasste meine Zukunftsdeutung. Die seltenen gutturalen Klänge erreichten den Moment ihres verfeinerten Nachhalls zur Zockerstunde und das Echo konnte noch lange, nachdem der Park leer war, gehört werden. Ich sass, fasziniert, ja hypnotisiert mit meinem tausendjährigen Ei da und hörte den letzten Echos der Spuck-Dynastie zu. Hoffentlich kann ich das nächste Mal ihren Klängen nach Spitiskan folgen. (Margarita Jimeno)

ORF Kunstradio – Radiokunst
Technik: Anton Reininger
Erstsendung im Ö1 Kunstradio: SONNTAG, 26. März 2006.

© Margarita Jimeno

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Margarita Jimeno
Geboren 1975 in Bogotá, Kolumbien, lebt in New York City. Sie studierte an der School of Visual Arts in New York City Film und Video. Jimenos Filmproduktionsfirma Hoptza Films LCC produziert international Videos und Dokumentationen. Im Moment entwickelt sie einen hybriden Film mit der schwedischen Filmfirma Silverosa und eine interaktive Musikdokumentation mit Nice Entertainment.

www.guespa.com